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Checkliste mit 10 Warnsignalen für überbewertete Patente

Patente gelten oft als wertvolle Assets, doch nicht jedes Schutzrecht hält, was es verspricht. Besonders Investoren, die Due Diligence betreiben oder Lizenzdeals prüfen, sollten sich nicht allein von der Patentexistenz täuschen lassen. Ein scheinbar starkes Patent kann sich in der Praxis als wertlos oder sogar als Risiko erweisen.


Checkliste

In dieser Checkliste zeigen wir 10 Warnsignale auf, die auf überbewertete Patente hindeuten – von mangelnder Durchsetzbarkeit über technologische Obsoleszenz bis hin zu fragwürdigen Transaktionshistorien. Wer diese Faktoren frühzeitig erkennt, kann Fehlinvestitionen vermeiden und gezielter in wertstabile Schutzrechte investieren.


1. Fehlende Durchsetzbarkeit

  • Warnsignal: Das Patent hat breite, vage Claims oder wurde bereits in früheren Gerichtsverfahren als ungültig eingestuft, da es nicht den Kriterien Technizität oder erfinderischer Höhe entspricht.

  • Beispiel: Ein Softwarepatent, das wegen "abstrakter Ideen" (Alice Corp. vs. CLS Bank) nicht durchsetzbar ist.

Alice Corp. hielt ein Patent für ein computergestütztes System zur Abwicklung finanzieller Risiken („escrow“) mittels Drittpartei.

Der US Supreme Court entschied, dass die Erfindung eine „abstrakte Idee“ (hier: Risikominimierung durch Vermittler) sei und die bloße Implementierung auf einem Computer keine ausreichende „Erfindungshöhe“ darstelle. In der Folge wurde das Patent für ungültig erklärt. Dieses Urteil führte zur Etablierung des "Zwei-Stufen-Test" für Softwarepatente in den USA:

Stufe 1: Ist die Erfindung eine abstrakte Idee, Naturgesetz oder mathematische Formel?

Stufe 2: Fügt die Implementierung „signifikant mehr“ hinzu (z. B. technische Innovation)?

In der Folge führte das zur Aberkennung Tausender Softwarepatente, die Algorithmen oder Geschäftsmethoden nur oberflächlich „computerisieren“. USPTO-Prüfer lehnen 80 % der Softwarepatentanträge nach Alice ab.

Fazit: Patente mit Claims wie „System zur Durchführung von [abstraktem Prozess] auf einem Server“ sind hochriskant.


2. Fehlende Anspruchsbreite infolge Prior Art

  • Warnsignal: Ältere Patente, Publikationen oder Open-Source-Projekte decken die Kerninnovation ab.

  • Check: Nutzen Sie Tools wie Google Patents, Espacenet oder kommerzielle Lösungen für eine Prior Art Recherche oder beauftragen Sie einen Patentrecherche-Profi an um die Rechtbeständigkeit zu überprüfen. Achten Sie auf Entgegenhaltungen und wie sich die Ansprüche dadurch verändert haben.

  • Beispiel: Warner-Lambert (Pfizer) und Patent auf den Wirkstoff Pregabalin (2014)

Pfizers Patent beinhaltete die chemische Verbindung, Herstellungsverfahren und therapeutische Anwendung, welche neuropathischen Schmerzen und Epilepsie abdecken.

Verschiedene Generika-Hersteller wiesen auf ältere Patente und Publikationen hin, die ähnliche Verbindungen beschrieben.

Das EPA beschränkte das Patent auf die spezifische therapeutische Anwendung bei generalisierter Angststörung (GAD) – eine Indikation, die nur 5 % des Marktes ausmachte. Pfizers Patent war formal gültig, aber durch die Einschränkung auf eine Nischenindikation wirtschaftlich irrelevant. Generikahersteller umgingen das Patent, indem sie Pregabalin einfach ohne GAD-Indikation vermarkteten.

Risiko bei großer Nähe zum Stand der Technik: Ein Patent oder wesentliche Ansprüche daraus könnten in Folge von Entgegenhaltungen, Einsprüchen oder Nichtigkeitsklagen fallen gelassen oder stark verfremdet werden, so dass sie leicht umgehbar werden.


3. Kurze Restlaufzeit

  • Statistik: Patente in der Halbleiterbranche verlieren nach 8 Jahren oft 60% ihres Werts.

  • Warnsignal: Das Patent läuft in <5 Jahren ab, ohne dass Verlängerungsoptionen (z. B. Pharma-SPE) existieren.

  • Beispiel: Concordia International (ein kanadisches Pharmaunternehmen) erwarb 2015 die Rechte an Vimovo – einem Schmerzmittelkombinationspräparat (Naproxen + Esomeprazol) – dessen Patent 2020 ablief.

60 % von Concordias Umsatz stammten aus Vimovo. Das Unternehmen hatte keine nennenswerte Pipeline zur Kompensation des bevorstehenden Umsatzeinbruchs.

Concordia hatte sich mit 3,5 Mrd. USD verschuldet, um Vimovo zu erwerben – basierend auf der Annahme, das Patent könne noch lange profitabel genutzt werden.

Generikahersteller überfluteten schließlich den Markt. Der Umsatz von Vimovo brach von 240 Mio. USD (2019) auf 12 Mio. USD (2021) ein, der Aktienkurs stürzte von 95 CAD (2015) auf unter 1 CAD (2020) ab, die Folge war Restrukturierung und Delisting.


4. Technologische Obsoleszenz

  • Warnsignal: Die Technologie wird bereits von disruptiven Trends überholt (z. B. 5G-Patente vs. 6G-Roadmaps).

  • Red Flag: Keine Updates/Follow-up-Patente in den letzten 3 Jahren.

  • Beispiel: Siemens und die veralteten Industrie 3.0-Sensorenpatente

Siemens patentierte 2010 Sensortechnologien für die Industrie 3.0 (z. B. RFID-basierte Maschinensteuerung). Mit dem Aufstieg von Industrie 4.0 (IoT, KI-gesteuerte Predictive Maintenance) wurden diese Patente technisch obsolet. Die alten Patente sind in Nischen/Schwellenländern wie Indien oder Brasilien allerdings noch relevant, wo Fabriken langsamer auf Industrie 4.0 umstellen: 2022 stammten 18 % von Siemens’ Lizenzgebühren in Lateinamerika aus „veralteten“ Industrie-3.0-Patenten (Quelle: Siemens Annual Report). Ferner nutzte Siemens die Patente 2021 in Verhandlungen mit Rockwell Automation, um Zugang zu neueren 5G-Industriepatenten zu erhalten (Cross-licensing).Diese Patente können also nach wie vor strategische Nutzen haben (z.B. Cross-selling Potenzial, Juristische Abschirmung gegen Patenttrolle, Komplementär zu neueren Technologien, Nischen). Technologische Obsoleszenz ist dementsprechend nicht immer mit Wertlosigkeit gleichzusetzen.


5. Fehlender Marktbezug

  • Warnsignal: Das Patent beschreibt eine Lösung ohne klare kommerzielle Anwendung ("Lösung auf der Suche nach einem Problem").

  • Frage: Gibt es Pilotprojekte, Partnerschaften oder Lizenznehmer?

  • Beispiel: Google Glass-Patente

Google patentierte 2012–2015 Hunderte AR-Technologien für Google Glass.

Problem: Das Produkt floppte kommerziell – die Patente decken Lösungen ab, für die es keinen Massenmarkt gibt (z. B. „Eye-tracking zur Steuerung von Werbeeinblendungen“).


6. Hohe Abhängigkeit von anderen IPs

  • Warnsignal: Das Patent ist Teil eines dichten Patentnetzwerks und kann ohne Lizenzierung anderer Patente nicht genutzt werden.

  • Beispiel: Apple vs. Ericsson (2015–2023) – Der Kampf um 5G-SEPs (Standard Essential Patents).

Apple entwickelte ein patentiertes Energieeffizienz-System für 5G-Antennen, um Akkulaufzeiten in iPhones zu verbessern. Um dieses Patent nutzen zu können, benötigte Apple allerdings Zugang zu Ericssons SEPs für 5G-Modems, die hierfür wiederum Lizenzgebühren forderten. Apple weigerte sich und verklagte Ericsson 2015, um niedrigere Lizenzgebühren zu erzwingen. Ericsson blockierte daraufhin 2022 in Kolumbien, Brasilien und den Niederlanden den Verkauf von iPhones, da Apple die SEPs ohne Lizenz nutzte.

Apples Antennen-Patent war ohne Ericssons SEPs nutzlos – es konnte nicht in Geräten implementiert werden, die 5G-Standards verwenden.

Apple zahlte schließlich 2023 eine Einmalzahlung von 500 Mio. USD + laufende Royalties an Ericsson für die SEP-Lizenzen.


7. Überhöhte Lizenzgebühren

  • Warnsignal: Die geforderten Royalties überschreiben branchenübliche FRAND-Raten (z. B. >5% Umsatzbeteiligung bei SEPs).

  • Check: Vergleichen Sie mit öffentlichen Lizenzvereinbarungen in der Branche.

  • Beispiel: Unwired Planet vs. Huawei (UK, 2020)

Unwired Planet forderte von Huawei Lizenzgebühren von 1,5 % des Umsatzes für SEPs – das Gericht reduzierte sie auf 0,05 %, da die Forderung nicht FRAND-konform (fair, reasonable, non-discriminatory) war.


8. Geografische Einschränkungen

  • Warnsignal: Das Patent ist nur in Ländern mit geringer Rechtsdurchsetzung oder geringer Ökonomiegröße registriert, nicht aber in großen und/oder Wachstumsmärkten.

  • Risiko: In großen Wachstumsmärkten, in denen kein Schutz besteht, haben Wettbewerber Freedom-to-operate.

  • Beispiel: Dyson vs. SharkNinja – Der Staubsauger-Streit in den USA

der britische Hersteller Dyson entwickelte 2016 eine innovative blattlose Staubsauger-Technologie ("Air Amplifier") und patentierte sie in der EU und Großbritannien, jedoch nicht in den USA. SharkNinja (US-Konkurrent) kopierte die Technologie und brachte 2018 ein ähnliches Gerät unter dem Namen "IQ-Air" auf den US-Markt. Dyson konnte SharkNinja nicht in den USA verklagen, da kein US-Patentschutz bestand. Folge: SharkNinja dominierte den US-Markt mit Dysons Technologie – Dyson verlor Marktanteile im wertvollsten Absatzmarkt der Branche.

Anmerkung: 62 % aller Patentklagen in den USA 2022 wurden von NPEs (Non Practicing Entities) eingereicht, die oft gezielt geografische Lücken ausnutzen (Quelle: RPX Corporation).


9. Fragwürdige Transaktionshistorie

  • Warnsignal: Das Patent wurde mehrfach zwischen NPEs (Non-Practicing Entities - Patent-Trolle) gehandelt, ohne jemals lizenziert zu werden.

  • Recherche-Tipp: Prüfen Sie die Historie z.B. in der USPTO Assignment Database.

  • Beispiel: Vringo vs. ZTE

Das Patenttroll-Unternehmen Vringo kaufte 2012 alte Nokia-Patente und verklagte ZTE auf 500 Mio. USD Schadenersatz.

Vringo konnte keine der hohen Schadenersatzforderungen gerichtlich durchsetzen. Die Patente erwiesen sich als schwach/nicht durchsetzbar. Vringo gab Millionen für Anwälte aus, ohne nennenswerte Erlöse zu erzielen. Vringos Aktie stürzte von 4,20 USD (2013) auf 0,10 USD (2017) ab. Das Unternehmen wurde 2018 aufgelöst. Die Patente wurden später an weitere NPEs wie Dominion Harbor verkauft, die ebenfalls erfolglos klagten.

Die Patente waren zuvor nie lizenziert worden und wurden nur für Prozesszwecke genutzt.


10. Mangelnde Dokumentation

  • Warnsignal: Keine detaillierten Laborbücher, Erfinderzeugnisse oder Protokolle zur Erfindungsentstehung.

  • Folge: Erschwert die Verteidigung bei Anfechtung ("Reduction to Practice"-Nachweis).

  • Beispiel: CRISPR-Patentstreit (Broad Institute vs. UC Berkeley)

UC Berkeley veröffentlichte 2012 einen wegweisenden Science-Artikel, der CRISPR-Cas9 in vitro (in Zellkulturen) beschrieb. Broad Institute (MIT/Harvard) meldete 2014 ein Patent an, das CRISPR-Cas9 in eukaryotischen Zellen (z. B. menschlichen Zellen) nutzbar machte

Das US-Patentamt (USPTO) musste entscheiden, wer zuerst die „reduzierte zu Praxis“ (Reduction to Practice) für CRISPR in menschlichen Zellen nachweisen konnte. UC Berkerly konnte keine detaillierten, datierten Laborbücher oder Zeugenaussagen vorlegen, die beweisen, dass sie CRISPR vor Zhang (Broad Institute) in menschlichen Zellen getestet hatten.

Die UC Berkeley verlor 2022 entscheidende CRISPR-Patente, weil sie nicht ausreichend nachweisen konnte, wann die Erfindung erstmals umgesetzt wurde.

 

Durch die Beachtung dieser Warnsignale können Investoren überbewertete Patente bei einer Unternehmensbewertung berücksichtigen und sich auf geistiges Eigentum mit nachhaltigem Marktwert konzentrieren.

Wenden Sie sich an einen Experten für Patentbewertung, wenn Sie sich nicht sicher sind, ob eine Erfindung eine entsprechende Investition rechtfertigt.

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