Deutsch | English
PATENT KOMPENDIUM
Schutzrechtsstrategien
Strategische Zielsetzungen bestimmen den Nutzen und die Wirkung von Schutzrechten im wirtschaftlichen Alltag. Ein Musterbeispiel für strategisches Vorgehen im gewerblichen Rechtsschutz gibt die japanische Wirtschaft, die ihrerseits auf diesem Gebiet wie auf vielen technischen Gebieten auch das Vorgehen anderer analysiert und daraus ihre Lehren für die eigene Vorgehensweise gezogen hat. Würde jeder Erfinder hier seine Hausaufgaben machen, ließe sich sicherlich manch gute Erfindung wirtschaftlich verwerten, die mangels wirtschaftlicher Zielrichtung in der Versenkung verschwindet.
Die Hauptfunktion von Schutzrechten ist die Gewährung ausschließlicher Rechte an verwertbaren, technischen oder gestalterischen Erfindungen. Zu den weiteren Funktionen gehören aber auch Funktionen wie Angriff, Absicherung, Motivation, Reputation oder die finanzielle Funktion, die für sich oder gemeinsam die Verwertung der Schutzrechte sichern helfen. Bedeutsam ist ebenso die Anmeldestrategie, nämlich was, wann, wie und wo angemeldet wird.
Angriff
Zur Angriffsfunktion gehört der Erwerb starker Schutzrechte auf neuen technischen Gebieten. Konkurrierende Unternehmen werden dadurch von neuer Technik ferngehalten, die eigene Position gesichert und ausgedehnt. Mit einer derart starken Waffe kann ein Unternehmen durch Lizenz und Rücklizenz an neue Technologien herankommen, die dem eigenen Unternehmen ohne das eigene Basispatent nicht zugänglich sind. Das Schutzrecht wird zum Tauschobjekt.
Gelingt es dem Schutzrechtsinhaber, gleichzeitig sein Patent zum technischen Standard zu machen, wird sich meist auch der wirtschaftliche Erfolg einstellen (Beispiel: VHS-System). Auch hierfür gibt es Mittel und Wege, um zum Erfolg zu kommen. Hat man z.B. eine Erfindung auf einem umweltpolitisch interessanten Gebiet gemacht, die eine entsprechende Energieeinsparung oder den Verzicht auf umweltbedenkliche Stoffe ermöglicht, kann man sich auch an Umweltparteien oder Vereinigungen wenden, die auf politischem Wege zur öffentlichen Akzeptanz und später dazu beitragen können, dass ein entsprechender Standard entsteht. Bei sicherheitsrelevanten Dingen kann der Weg über Versicherungen zum Erfolg führen
Absicherung/ Taktik
Zum Aufbau einer gesicherten Stellung gehört das rechtzeitige Einreichen von Schutzrechten, die Sicherung, dass alle Gesichtspunkte eines Produkts, Verfahrens oder Zwischenprodukts abgedeckt sind, ebenso wie das Einreichen nachfolgender Anmeldungen. Eine ständige Technologieüberprüfung hilft die eigenen Lücken ebenso aufzuspüren wie die der Anderen.
Zur Absicherung eines Basispatents wird z.B. um dieses herum ein Netz von Patenten gespannt, um die eigentliche Erfindung gegenüber Umgehungsformen abzusichern oder neue Anwendungen abzudecken. Verfügt der Wettbewerb über das Basispatent, so kann ein derartiges Netz ihn am entsprechenden Einsatz seiner Erfindung hindern. Das eigene Netz kann durch zugekaufte Patente oder Lizenzverträge gestärkt werden.
Für den Netzinhaber sind hier die 18 Monate zwischen Anmeldung und Offenlegung von Vorteil. Teile des Netzes können bei Streitigkeiten in die Waagschale geworfen werden, um den Frieden durch ein ‚Cross-Licensing‘ zu erhalten und sich den Zugang zu einer neuen Technologie zu sichern.
Motivation
Im Personalbereich lassen sich Patente einsetzen, damit sich Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen stärker identifizieren. Hat ein Mitarbeiter oder ein Qualitätszirkel eine Entwicklung vorgetragen, die vom Unternehmen zum Schutzrecht geführt wird, erkennt der Mitarbeiter, dass seine Vorschläge ernst genommen werden. Handelt es sich dabei um ein technisches Schutzrecht (Patent oder Gebrauchsmuster) steht dem Erfinder gemäß dem Arbeitnehmererfindergesetz sogar eine gesonderte Vergütung zu, die sogenannte Erfindervergütung (EVG).
Reputation und Finanzierung
Nicht nur bei Existenzgründungen deuten Schutzrechte in der öffentlichen Beurteilung auf eine technologische Stärke eines Unternehmens, bzw. eine positive Einstellung zu Forschung und Technik hin. Sowohl bei der Akquisition von Aufträgen als auch bei der Kreditwürdigkeit ist dies von Vorteil, sofern sich dem Kreditinstitut oder dem Venture-Kapitalist der Wert der Schutzrechte z.B. im Rahmen eines Business-Plans vermitteln lässt. Kann das Schutzrecht während seiner Laufzeit z.B. in einem Produkt umgesetzt werden, stärkt sich dadurch die Marktposition des Unternehmens und/oder dessen Marke. Dies hat oft ganz automatisch zur Folge, dass der Erfolg eines Unternehmens zunimmt. Durch Lizenzierung oder Übertragung von Schutzrechten ggf. in Verbindung mit Joint Venture oder Franchiseverträgen können Schutzrechte beachtliche Einnahmequellen darstellen und die Position des Unternehmens stärken.
Anmeldestrategie
Sämtliche vorgenannten Funktionen der Schutzrechte versagen, wenn sich der Anmelder nicht klar ist, was, wann, wie und wo angemeldet wird. Hierzu sollte das Unternehmen einen vom Erfinder unabhängigen Entscheidungsträger haben. Vor der Anmeldung sollte der Erwartungshorizont an die Schutzrechte feststehen. Sollen Sie ein neues Standbein für ein großes Unternehmen bilden oder einem Firmengründer die Türen öffnen. Eine ungenaue oder zu breit angesetzte Zielsetzung führt nur zu einem Ergebnis, das sich nicht mit den Erwartungen deckt und vermeidbare Kosten hervorruft
Steht das Ziel, ist zu klären, wie man geistiges Eigentum erwirbt. Mit Ausnahme der zufälligen schutzrechtsfähigen Entdeckung entsteht geistiges Eigentum meist durch gezielte Entwicklung unter Einsatz von Kreativitätstechniken. Der Erfinder stört sich an immer wieder auftretenden Problemen, stellt alles zunächst in Frage oder sucht bessere, günstigere Alternativen. Auch der Wettbewerb oder andere Schutzrechte können ihn zur Entwicklung geeigneter Umgehungsformen zwingen, um einen Wettbewerbsvorteil zu behalten. Meist genügt auch nicht ein Baustein allein, um eine ganze Entwicklung zu schützen, so dass die Weitsicht des Erfinders zur Erkennung der richtigen Lösungsansätze und der Schwerpunkte der eigenen Entwicklung gefordert ist. Was bietet einen Wettbewerbsvorteil, eine Frage, die sich der Erfinder auch während des gesamten Erteilungsverfahrens und genaugenommen hinsichtlich jedes Merkmals seines angestrebten Schutzes immer wieder stellen sollte.
Der Eigenentwicklung ist grundsätzlich der Vorzug vor Fremdentwicklungen zu geben, da man es selbst in der Hand hat, wann man wem was kundgibt, obwohl der hierfür erforderliche Aufwand nicht zu unterschätzen ist. Die Erfahrung zeigt, dass dies dazu beiträgt, den richtigen Zeitpunkt für die Anmeldung zu erkennen. Einerseits ist zur Zeitrangsicherung so früh wie möglich anzumelden. Wird andererseits eine Entwicklung zu früh angemeldet, ist sie eventuell noch nicht ausgereift, so dass die eigene Entwicklung vielleicht aus dem Schutzbereich der eigenen Anmeldung herausführt, diese aber nicht mehr geschützt werden kann, weil ihr jetzt die eigene voreilige Hinterlegung entgegensteht.
Liegt eine Idee insbesondere auf einem neuen Gebiet vor, sollte man einen Blick auf die öffentlich zugänglichen Entwicklungen des Wettbewerbs werfen. Der Blick hierauf nach Vorliegen der Idee hält den Erfinder zunächst von wettbewerbsanalogem Denken ab, zu diesem Zeitpunkt hilft dieser Blick aber auch zu erkennen, was die eigene Entwicklung eigentlich wert ist, erspart eventuell Entwicklungen in die falsche Richtung und schützt nicht zuletzt vor einem Eingriff in eventuell bestehende Rechte Dritter. Diese Rechte und der Stand der Technik sind aufzuspüren und auszuwerten, wobei dem Suchenden die Patentklassifikation sowie die öffentlichen Patentinformationszentren behilflich sind. Gedruckte Veröffentlichungen helfen hier genauso weiter wie Online-Dienste.
Mitunter wird eine Erfindung besser nicht angemeldet. Das Ausschließlichkeitsrecht erkauft sich jeder Schutzrechtsinhaber damit, dass er sein geistiges Eigentum preis gibt und dieses über kurz oder lang veröffentlicht wird. Daher kann es sinnvoll sein, Entwicklungen, die der Wettbewerb nicht ohne weiteres analysieren kann, als Geschäftsgeheimnis geheim zu halten, um daraus Wettbewerbsvorteile zu ziehen. Es muss also eine Abwägung zwischen der mit der Hinterlegung verbundenen Veröffentlichung und dem Recht getroffen werden, anderen die Nutzung des Schutzrechts untersagen bzw. vorenthalten zu können.
Sind diese Fragen zufriedenstellend beantwortet und hat die Recherche die grundsätzliche Schutzfähigkeit ergeben, stellt sich die Frage nach dem „Wo anmelden?“. Dies hängt vom Gebiet der Erfindung, den Interessen des Unternehmens jetzt und in Zukunft, geplanten Expansionen und auch von wirtschaftlichen Gesichtspunkten ab. Ein weltweites Schutzrecht benötigt kaum jemand. Denn sind die wichtigsten Märkte und/oder Standorte der Wettbewerber besetzt, verbleiben dem Wettbewerb kaum schutzrechtsfreie und vor allem für den Wettbewerb rentable Nutzungsbereiche. Entscheidend kann sein, wo Marketingvorteile zu erzielen sind, ein Konkurrent ausgebremst werden kann oder Wachstumschancen zu erkennen sind
Schutzrechtsabwehr
Zur strategischen Vorgehensweise gehört außer der andauernden Beobachtung der Technologieentwicklung des Wettbewerbs und dem von diesem angestrebten Schutz seiner Entwicklungen auch das Vorgehen gegen Rechte Dritter. Von Bedeutung ist die in vorherigen Kapiteln angesprochene Dokumentation eigener Entwicklungen und Auslieferungen, um eventuell zumindest einen eigenen offenkundigen Stand der Technik nachweisen zu können. Ebenso wichtig ist aber die Entscheidung, ob gegen jedes Patent oder nur gegen ausgewählte Schutzrechte Einspruch erhoben wird. Auch hier sollte man sich auf das Wesentliche konzentrieren. Mitunter kann es von Vorteil sein, statt eines Einspruchs oder einer Abwehr eines solchen, mit der Gegenseite Kontakt aufzunehmen, um z.B. ein kostenloses Mitbenutzungsrecht zu erhalten oder im gegenseitigen Einverständnis zumindest Dritten den Zugang zum Markt durch das Schutzrecht zu verwehren, dass dieser Funktion nach Wegfall infolge des Verfahrens nicht mehr gerecht werden könnte.
Patentanalyse
Die Auswertung von Patentdaten und deren Verknüpfung mit Wirtschaftsdaten wird für die Verwertung von Schutzrechten immer bedeutsamer. Aus Patentdaten lässt sich z.B. ein Überblick über den Entwicklungsstand, die Entwicklungsrichtung eines bestimmten Fachgebiets oder der Stand eines Produktzyklus gewinnen. Es lassen sich die Wettbewerber oder auch die Newcomer erkennen. Eine Möglichkeit hierzu ist die sogenannte Patentzitatsanalyse, bei der ausgehend von einem Dokument recherchiert wird, in welchen Schutzrechten dieses Schutzrecht entgegengehalten wurde oder was diesem Schutzrecht entgegengehalten wurde. Macht man dasselbe auch für die so ermittelten Schutzrechte, lässt sich ein Marktüberblick gewinnen. Damit lassen sich auch für das eigene Schutzrecht Lizenzierungsmöglichkeiten auf Grund der so ermittelten Anwendungsgebiete ebenso erkennen wie mögliche Verletzer. Je nach Patent-Portfolio ist diese Auf-gabe allerdings sehr umfangreich und nicht ohne Fachkenntnisse zu lösen.